4.4 - Inferno Part 3

Ich möchte mich ausdrücklich dafür entschuldigen, dass die Bilder in diesen Parts nicht besonders gut geworden sind - weil in Extremeile gezeichnet!! Ich werde sie aber demnächst auf jeden Fall verbessern!! 

 

     Tedd kauerte sich auf seinem Krankenbett zusammen. Draußen war es längst dunkel, man konnte nur die schwachen Umrisse der Mondsichel am Nachthimmel erkennen. Kou ging vor einer Stunde heim. Der Arzt, der Tedd am Abend zum zehnten Mal untersucht hatte, meinte, er sei vorerst stabil und müsse noch ein paar Tage zur Beobachtung da bleiben. Daraufhin bat Norio Tedd, Kou nach Hause mitnehmen zu können, damit der sich etwas auszuruhen konnte. Kou war wirklich blass und äußerst müde; er hielt sich kaum noch auf den Beinen. Er wollte nicht weg, aber die zwei Tage und Nächte ohne Essen und Schlaf, dafür in ständiger Angst um Tedd, waren ihm deutlich anzusehen. Tedd willigte schweren Herzens ein, erkämpfte sich aber sein Handy, um Kou jederzeit anrufen zu können.
     An Schlaf war nicht zu denken. Seine Beruhigungsspritze hatte Tedd mittlerweile verdaut. Obwohl er mit jedem Teil seines Körpers fühlte, wie erschöpft er war, musste er jedes Mal, wenn er die Augen zumachte, an seine Albträume denken, die ihn am Schlaf hinderten. Er fühlte sich immer noch wie in einem Traum gefangen. Kous Tod war so real für ihn, was wenn er am Ende aufwachte und erfuhr, dass Kou wirklich nicht da war..? Und der letzte Tag.. nur eine Traumsequenz war? Alle waren gekommen, um nach ihm zu sehen - Ben, Anika, sogar sein Vater schaute kurz vorbei.. alle, bis auf Mona, die immer noch im Gefängniskrankenhaus war. Anika berichtete ihm, dass sie sich nur langsam erholte, weswegen sie ihr auch nichts von Tedds Zustand gesagt hatte. Sein Vater aber war mehrmals bei ihr gewesen, doch obwohl er jedes Mal versucht hatte, mit ihr zu reden, schickte sie ihn weg. Tedd schüttelte enttäuscht den Kopf, als er das hörte.


     Wie lange er da lag und die dunkle Decke über ihn anstarrte, wusste Tedd nicht. Seine Finger juckten wie verrückt - er wollte so gern Kou anrufen! Er wollte seine Stimme hören, die ihn erneut überzeugen könnte, dass er am Leben war.. doch obwohl er sich vorgenommen hatte, Kou jederzeit anzurufen, hielt er sich zurück. Kou schlief garantiert längst, sicher war er bereits in Norios Wagen eingepennt.. Dafür bekam er alle 15 Minuten eine SMS von Ben, der ihm davon berichtete, wie er seinen Abend verbrachte. Irgendwann ging aber auch Ben schlafen, als Sportler war er es gewohnt, ziemlich früh ins Bett zu gehen, und die Nachrichten hörten auf. Tedd trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf der Oberfläche seines Handys, machte es immer wieder ein und aus, spähte auf die Uhr und zählte die Minuten bis zum Sonnenaufgang. Am Morgen würde Kou schließlich wieder kommen und den ganzen Tag bei ihm bleiben!
     Er fuhr etwas erschrocken zusammen, als sich gegen 23 Uhr die Tür öffnete und eine Schwester hereinkam. Sie brachte ein weiteres Bett, welches sie quietschend etwa einen Meter weiter von Tedds Bett einparkte. "Sie bekommen Gesellschaft", meinte sie und lächelte dabei komisch.
     Tedd runzelte die Stirn. Er lag doch im VIP-Raum, der ganz allein für ihn reserviert war! (Zumindest hatte Norio das behauptet, der das Zimmer binnen Sekunden und ohne mit der Wimper zu zucken, für ihn gekauft haben sollte. Nicht gemietet. Gekauft.) Tedd seufzte und schimpfte mit sich für seine egoistischen Gedanken. Vielleicht war ja das Krankenhaus voll und es musste jeder Platz genutzt werden, um das Leben eines Patienten zu retten. Trotzdem.. er wollte keine Gesellschaft. Nicht jetzt. Nicht heute Nacht..
     Er warf sich die Decke über den Kopf, als er leise Stimmen in der Tür hörte. Er wollte niemanden sehen.
    "Schläft er?", flüsterte eine der Stimmen.
    "Nein, er war soeben noch wach!" Ah, das war die Krankenschwester. "Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich!"
    "Mach ich! Vielen Dank!"


     Die Tür ging wieder zu und Tedd hörte etwas rascheln. Sein neuer Nachbar bewegte sich beinahe lautlos durch den Raum, öffnete seine Reisetasche und holte etwas heraus; danach hörte man ihn, wie er sich umgezogen hatte.. Tedds Muskeln spannten sich, als er hörte - oder fühlte - dass die Person sich über ihn beugte.. wohl um zu überprüfen, ob er wirklich schlief, da er bislang keinen Laut von sich gegeben hatte.
     "Kennst du das Wort: Privatsphäre?", bellte Tedd heraus, dem das nach einigen Minuten tierisch auf die Nerven ging. Gleichzeitig setzte er sich hin und schenkte der neugierigen Person einen wütenden Blick.

 

      Er war es.
    Bei seinem warmen Lächeln fing Tedds Herz sofort an, schneller zu schlagen.. und das obwohl sie erst ein paar Stunden voneinander getrennt gewesen waren.. Oder war er mittlerweile doch eingeschlafen und dies war wirklich nur ein Traum?
     Naja.. es gab ja nur eine sichere Möglichkeit, es herauszufinden!

     Ja, er war es.


     "Was ist los? Wieso bist du hier?", fragte Tedd besorgt. "Geht es dir nicht gut?"
    "Mein Bauch schmerzt etwas", antwortete Kou. "Ich denke, es ist besser, wenn ich heute Nacht noch einmal hier bleibe.. zur Beobachtung.."
    Tedd zog ihm blitzschnell den Schlafanzug-Oberteil hoch und betrachtete seinen Bauch. "Wo tut es dir weh? Wo? Hier?" Er tastete vorsichtig Kous Bauch ab. "Oder hier?..Hoffentlich hast du keine Blinddarmentzündung!"
     Kou richtete sich wieder zu Recht. "Ich weiß nicht mehr, wo es weh tut.. es ist auch egal."
     "Du hast doch gesagt - " Tedd hielt inne. Er musterte Kou kurz und dann lächelte er etwas verlegen. "Du bist ein Lügner!" Zeitgleich umarmte er seinen Lügner ganz fest dafür, dass er so war, wie er eben war..


     Es dauerte, bis sie auf Tedds schmalen Krankenbett eine geeignete Schlafposition für sie beide finden konnten. Am Ende kuschelte Tedd sich in Kous Arme hinein und legte seinen Kopf auf Kous Brust. Jetzt konnte er sein Herz schlagen hören, das ihn im regelmäßigen, beruhigenden Rhythmus in den Schlaf wog. Kou hielt ihn zart und vorsichtig, die ganze Nacht; er war jedes Mal wach, wenn Tedd aus dem Schlaf fuhr und sich unsicher nach ihm umsah. Er hatte wohl immer noch die Todesalbträume, aber Kou gab ihm jedes Mal einen Kuss auf die Stirn und sagte: "Ich bin hier. Alles ist gut!", und Tedd schlief beruhigt wieder ein.

 

     Als er am frühen Morgen aufwachte, war Kou immer noch da, er sah ihn müde, aber glücklich an und drückte ihm einen Guten-Morgen-Kuss auf die Lippen.
     "Wie geht es dir?", fragte Kou, während er Tedds Hinterkopf langsam streichelte.
     "Wunderbar", gähnte Tedd. "Was ist mit dir? Du hast ja wieder nicht geschlafen!"
     "Ich konnte nicht", gab Kou zu. "Ich konnte ja gestern vor Sorge um dich nicht einmal daheim bleiben.. Geht es dir wirklich gut? Was macht dein Herz?"
     "Was sollte es schon tun? Es schlägt!" Tedd fand es langsam etwas nervig, dass Kou ihn ständig ausfragte, wie es ihm nun ging und ob sein Herz in Ordnung war..  behielt es aber für sich, denn er hörte aus Kous Worten heraus, dass er wirklich besorgt war. Deswegen sagte er auch nichts, als Kou ihm mit äußerster Vorsicht half, aus dem Bett zu kommen und ihn ins Bad begleitete. Heimlich genoss er es sogar, dass Kous ganze Aufmerksamkeit auf ihm fixiert war, aber als Kou einen Waschlappen nahm und ihn nass machte, um Tedds verschwitzen Körper sauber machen zu können, wurde er etwas sauer. "Ich bin doch kein Krüppel, Kou! Ich kann das auch allein!"


     Er riss sich den Schlafanzug vom Leib und erstarrte, als er sah, dass seine Brust verbandagiert war. Das hatte er gestern gar nicht bemerkt! (Oder er hatte es bemerkt, aber mittlerweile wieder vergessen..) Als der Arzt ihn untersucht hatte, hatte er überhaupt nicht auf ihn geachtet, er hielt die ganze Zeit nur Kous Hand fest..
     Dann erinnerte er sich daran, dass Kou gestern erwähnt hatte, er sei auf dem OP-Tisch gewesen. Hektisch riss er auch die Bandagen herunter und hörte nicht auf Kou, der ihn davon abhalten wollte. Eine frische, dünne Narbe saß direkt auf seiner Brust.

      "W-as.. ist pa-ssiert?", stotterte er heraus und fuhr mit den Fingern die Narbe entlang.
    Kou wich seinem Blick aus, nahm den nassen Waschlappen erneut in die Hand und glitt damit über Tedds Rücken. "Ein Noteingriff..", sagte er mit zittriger Stimme. "Du hast.. eine erweiterte Herzkammer.."
     "Das weiß ich", sagte Tedd. Kou fiel der Waschlappen aus der Hand.
     "Du weißt es?", fragte er bestürzt. "Seit wann?"
     "Seit Jahren."
     "Wie bitte? Wieso hast du mir nichts davon gesagt?"
     "Wozu? Ich habe damit nur selten Probleme." Tedd musterte sich erneut im Spiegel. Die Narbe gefiel ihm überhaupt nicht.
     "Selten?" Kou drehte ihn zu sich und sah ihm tief in die Augen. "Wann hast du denn solche Probleme?" Er hatte nie etwas bemerkt!


     Jetzt versuchte Tedd, Kous Blick auszuweichen. Es war ihm unangenehm, über dieses Thema zu reden. "Manchmal, wenn ich mich zu sehr aufrege.. oder beim Adrenalin-Kick.. beim Autofahren zum Beispiel.. Ich weiß, du denkst die ganze Zeit über mich, ich wäre ein schlechter Fahrer, weil ich so viele Autos zu Schrott gefahren habe.. aber dass ich ab und zu die Kontrolle über den Wagen verliere, das.. liegt nicht daran, dass ich nicht fahren.. oder die Straßenschilder nicht lesen kann.." Er wagte es, Kou anzuschauen.  Kous Augen glühten vor Ärger und Schock.
     "Heißt das, du kannst jederzeit ohnmächtig werden, wenn du Auto fährst?"
   

Na? Erinnert ihr euch an das hier?
Na? Erinnert ihr euch an das hier?

   Tedd beeilte sich damit, Kou zu beruhigen. "Nein, natürlich nicht.. nur wenn ich zu schnell fahre. Ich spüre dann einfach, wie das Blut schneller rast, und das Herz tut etwas weh.. in den schlimmsten Fällen sehe ich einfach statt der Straße lauter Kreise vor den Augen.. aber nur für einige Sekunden.. Leider reicht die Zeit manchmal, um in einen Mast oder sonst wo hineinzurasen.."
     Kou schüttelte verzweifelt den Kopf. "Ich kann's nicht fassen! Du hast schon mal solchen Unfall gehabt, wo ich dich verarzten musste!!.. Wieso hast du damit nie etwas machen lassen?"


     Tedd zog sich wieder seinen Schlafanzug an. "Eine Herzklappen-OP bedarf einige Monate anschließende Ruhepause. Ich hab das mit meinem Herzfehler erfahren, kurz nachdem ich im Showbiz angefangen habe.. nachdem ich mein erstes Auto verschrottet habe. Selma weiß es auch. Ich hatte einfach keine Zeit für eine OP gehabt.. außerdem sind diese Anfälle äußerst selten.. und wirklich nicht schlimm... Peanuts!"
     "Wirklich nicht schlimm? Und was war das hier für ein Anfall?"
     "Ich.. weiß nicht..", sagte Tedd. "Das war doch kein Anfall, oder?.. es fühlte sich auch anders an.. ich sagte doch, ich dachte, dass du - "
     Kou unterbrach ihn, indem er ihn wieder auf seine Brust zog. "Ich weiß.. Wage es nie wieder, mich so zu erschrecken, hörst du?" Er küsste jeden Millimeter von Tedds Gesicht und Tedd küsste zurück. "Ich werde ab jetzt.. auf dein Herz so aufpassen, als wäre es mein eigenes.."

 

     Tedd wurde zurück ins Bett beordert, um sich nicht zu verausgaben. In den nächsten Tagen ruhte er sich aus und vegetierte einfach vor sich hin und es war nicht umsonst, dass er die ganze Zeit von Kou nach allen Regeln der Kunst bedient und gepflegt wurde, denn bald schon sagten die Ärzte, die über seine schnelle Regeneration staunten, dass er wieder nach Hause durfte. Er erfuhr nicht, was tatsächlich mit ihm passiert war, denn alle Ärzte stimmten Kous Bitte, es vor Tedd vorerst heimlich zu halten, zu. Aus gesundheitlichen, sowie psychischen Gründen machten sie bei Tedd eine Ausnahme und informierten ihn nur über den Fortgang seiner Genesung. Vielleicht half bei ihrem Schweigen aber auch Norios äußerst großzügige Bestechung..
     "Keine Aufregung!", sagte der Chefarzt zu Tedd. "Und vorerst kein Sex!"
     Damit hatte er Tedd den Tag verdorben. Und dabei fing der so gut an, mit Kou an seiner Seite!!


     Während Kou Tedd in seinem Wagen mehr als vorsichtig nach Hause fuhr, merkte er, wie Tedd schweigend die Weihnachtsdekoration betrachtete, mit der die ganze Stadt bereits ausgeschmückt war. Weihnachten stand unmittelbar vor der Tür. Weder Kou, noch Tedd beschäftigten sich im Krankenhaus mit diesem Thema. Keiner von Beiden wollte das Problem ansprechen.. und dabei blieb es auch noch eine Weile.
   Das Erste, was Tedd Zuhause merkte, war, dass es wieder ordentlich aufgeräumt war. Er erinnerte sich noch, was für ein Saustall er im Eifer seines Ausbruchs hinterlassen hatte, bevor er Kou suchen ging. Kou half ihm aufs Sofa und deckte ihn zu.
     "Möchtest du fern schauen?"

     Tedd schüttelte den Kopf. Er beobachtete Kou dabei, wie er die Reisetasche auspackte, die er ihm vor einigen Tagen gebracht hatte. Kou räumte fast geräuschlos auf, ging auf den Spitzen, und freute sich, als er Tedd einen Tee machen durfte. Die Stille, die sich danach in der Wohnung legte, war auf einmal so seltsam.. Es dauerte nicht lange, bis Tedd merkte, dass etwas fehlte.


    "Wo ist T.J.?", fragte er, als Kou aus der Küche kam und eine große Tasse Pfefferminztee auf den Couchtisch hinstellte.
     "Weg." Kou holte sich auch einen Tee. "Hast du es bequem genug?"
   "Ja, hab ich. Was meinst du damit, er ist weg?" Tedd fühlte sich auf einmal sehr unangenehm. "Ist er noch bei Norio oder so? Hat jemand auf ihn aufgepasst, während du bei mir im Krankenhaus warst?"
     "Nein, ich habe ihn weggebracht", sagte Kou und setzte sich auf den weichen Teppich zu Tedds Füßen.
     "Was? Wieso das denn?"
     "Du hast ihn doch nicht gemocht.. Ich weiß, dass du gesagt hast, du würdest ihn mir zuliebe anerkennen, aber ich habe eingesehen, dass es von mir sehr egoistisch war, ihn dir aufzuzwingen. Du warst seinetwegen sowieso nur genervt. Ich habe ihn weggegeben. Somit haben wir auch wieder mehr Zeit für uns. Du brauchst jetzt vor allem viel Ruhe und auch auf die Dauer ist es besser so.. denke ich."


     Tedd fühlte, wie sich wieder einmal Tränen den Weg in seine Augen bahnten. "Aber.. das wollte ich doch nicht!!" Kou hatte T.J. seinetwegen fortgeschafft! Obwohl er ihn so sehr liebte! Tedd schämte sich plötzlich dafür, dass er den armen kleinen Hund so schlecht behandelt hatte. T.J. war für Kou wie eine Art Pflaster gewesen, immer wenn er an sich gezweifelt hatte, erinnerte T.J. ihn daran, dass es zumindest ein Wesen auf der Welt gab, das ihn mochte..
     Kou sah Tedd an, wie traurig er wurde. "Mach dir keine Sorgen", lächelte er ihn sanft an. "Es wird ihm auch woanders sicher gut gehen. Wenn nicht sogar besser."
    Besser. Das Wort konnte man ruhig auch als Vorwurf sehen. Tedd hätte T.J. besser behandeln sollen! "Ich will nicht, dass du ihn weggibst!", sagte Tedd und schniefte. Tatsächlich war die Wohnung zu still ohne den kleinen Hund. Zu traurig. Zu einsam. So sehr Tedd auch seine Ohren anstrengte, es gab kein fröhliches tapptapptapp auf dem Boden mehr; und es war auch kein Hecheln oder Knurren zu hören. Nichts. Als hätte T.J. gar nicht existiert. Kou hatte nicht einmal einen Ball in der Ecke vergessen. "Ich will nicht, dass du T.J. weggibst!", wiederholte Tedd. "Er fehlt mir!"
   Kou lächelte ihn für diesen Satz extra liebevoll an, antwortete aber: "Du bist jetzt das Allerwichtigste. Ich möchte mit dir so viel Zeit verbringen, wie es nur geht!" Als er sah, dass das Tedds Laune nicht aufbessern konnte, fügte er hinzu: "Du wirst ihn ja bald wieder sehen, also Kopf hoch! Ihm geht es wirklich gut!"

    Einige Minuten später, nachdem er etwa zwanzigmal Tedd gefragt hatte, ob es ihm gut ginge und ob ihm etwas weh tat, war Kou eingeschlafen. Tedd deckte ihn behutsam mit seiner eigenen Decke zu und setzte sich zu ihm auf den Teppich. Er beobachtete ihn eine ganze Weile. Kous erschöpftes Gesicht war wirklich das Schönste, was er je gesehen hatte, das war mehr als sicher für ihn. "Ich liebe dich so sehr", sagte Tedd, auch wenn er wusste, dass Kou ihn nicht hören konnte. "Ich will nur dich und niemanden sonst.. Und dennoch könnte ich mich vielleicht gar nicht von all den anderen Sachen trennen, die ich mag.. Wie schaffst du es? Wie kannst du alles, was du liebst, einfach so zur Seite schieben, wenn es darauf ankommt?" Er legte sich zu Kou, der im Schlaf automatisch die Hand um ihn legte. "Es tut mir so leid.. es tut mir so leid, dass du mit mir so viel Ärger hast!!.. Ich werde alles tun, was du von mir willst.. Ich werde.. dich an Weihnachten sehr vermissen, aber es ist ja nur eine Woche.. Danach kommst du wieder zu mir zurück und alles wird wieder gut!..  Nur Bitte.. BITTE!.. Gib mich niemals weg!.. Für niemanden!!.. Ich.. flehe dich an..!"

 

   Norio mochte Weihnachten nicht besonders. Er mochte generell keine Feierlichkeiten und deswegen war die Fahrt durch die beleuchtete und weihnachtlich ausgeschmückte Stadt zu dieser Zeit für ihn reinste Qual. Jedes Geschäft glitzerte und blendete die vorbeigehenden Leute, die - abgelenkt - nicht darauf achteten, wo sie die Straße überquerten; Kinder brüllten ihre Mütter an - Auto hier, Puppe da - und Mütter schrien ihre Kinder an, von wegen sie waren das ganze Jahr über eh nicht brav gewesen, also würden sie auch nichts bekommen..
     Kinder.. Sie machten nur Stress und Arbeit.. und kosteten Unmengen von Geld, gerade was Geburtstage oder Weihnachten betraf. Norio seufzte. (Er bemerkte nicht, dass er bei dem Gedanken ca. 20 neue Videospiele für Tedd kaufte, nachdem er sich in eine Einkaufspassage verirrt hatte..) Er mochte keine Kinder. Die ganz kleinen schon gar nicht. Das ständige Geheule und Fragen über Fragen, die sie ihren Eltern stellten, könnte er nicht ertragen.. Zum Teil bewunderte er Kou dafür, dass er diese Bürde auf sich genommen.. und auch gemeistert hatte. Norio selbst wollte nie Kinder haben.. und so wie das in letzter Zeit aussah, würde es dazu auch sicherlich niemals kommen.
     In Gedanken vertieft kaufte er wahllos noch einige Spielsachen, die er später bei Kou vorbei bringen wollte. Norio selbst fuhr nie zu seinem Vater, nicht einmal an Weihnachten, aber Kou würde hinfahren, das war beschlossene Sache, er konnte also die Geschenke von "Onkel Norio" mitnehmen. Es war das erste Mal, dass Norio Spielsachen kaufte.. und das auch noch in der Öffentlichkeit.. (normalerweise bestellte er Sachen aus dem Internet) Wenn er je etwas an Kinder verschenkt hatte, waren das Bücher oder DVDs. Als Kou klein war, bekam er von ihm immer nur Lehrbücher.. später, nach der Sache mit den Demotapes, bekam er gar nichts mehr.. und auch Kou hatte ihm seither nie etwas geschenkt.

aww der Arme..
aww der Arme..

 

    Eine Mutter mit zwei kleinen Söhnen ging gerade an Norio vorbei. Einer der Jungs stolperte, fiel hin und fing an zu weinen. Der andere half ihm wieder auf die Beine und sagte zu ihm: "Heul doch nicht! Ist doch nix passiert! Komm, ich kauf dir einen Kaugummi!" Danach rannten sie beide lachend zum nächsten Kaugummiautomaten, gefolgt von der etwas gestressten Mutter, die es ihnen ausreden wollte.
     Norio beobachtete die ganze Szene. Als hätte er den kleinen Tedd und seinen Bruder vor den Augen gehabt.. Er wusste nicht viel über die Kindheit der Beiden, aber jeder, der sie ansah, konnte sofort erkennen, dass sie ein Herz und eine Seele waren. Ganz anders, als er und Kou. Norio ging gerade an einem Buchladen vorbei und beim Anblick auf die ausgestellten Wörterbücher im Schaufenster, musste er erneut an Kou denken. Kou war ein sehr ruhiges Kind, das selten etwas gefragt oder verlangt hatte. Wenn er sich auch etwas gewünscht hatte, dann wusste keiner davon. Und er weinte als Kind nie.. zumindest hatte Norio ihn noch nie weinen gesehen. Nicht einmal bei dem Vorfall in den Bergen; als Vater ihn geohrfeigt hatte, hatte Kou lediglich eine einzige Träne verloren.. Und lachen hatte Norio seinen Bruder auch selten bis kaum gehört. Sie gingen nie Seite an Seite durch die Stadt, kauften sich Kaugummis, oder alberten im Schnee herum. Norio war der große Bruder und Kou schaute zu ihm auf, er ging immer leise und schüchtern einige Schritte hinter ihm, rannte sofort los, wenn er von ihm gerufen wurde, blieb aber im Schatten stehen, wenn er vergessen wurde.


     Es war gut, dass sie sich endlich ausgesprochen hatten. Es war wichtig, dass Norio endlich die Wahrheit erfahren durfte. Gleichzeitig blieb ein bitteres Gefühl im Herzen übrig, so dass Norio heimlich den Wunsch hegte, die Wahrheit bliebe vor ihm für immer verborgen, damit er Kou weiterhin hassen könnte.. denn jetzt wurde ihm einmal mehr klar, was für ein schlechter Bruder er war.. wie unrecht er Kou die ganzen Jahre über behandelt hatte.. was für Mist er getan hatte, um ihn absichtlich zu verletzen.. All das hatte Kou nicht verdient.. Doch obwohl Norio alles getan hätte, um seine Fehler wieder rückgängig zu machen, wusste er, dass es unmöglich war, seine Taten zu entschuldigen.. Die eine ganz besonders..
     Die Tüte mit den Videospielen lag ihm auf einmal unbequem in der Hand; und die andere Tasche mit den Spielsachen bewirkte langsam, aber sicher, dass seine andere Hand nach und nach taub wurde. Norio wollte schon zum Wagen gehen, als eine unsichtbare Stimme ihm ins Ohr flüsterte, dass er etwas vergessen hatte. Er hatte Geschenke für Tedd gekauft, und er hatte mehr als genug Spielsachen besorgt.. aber..


     .. ein Geschenk für Kou fehlte. Norio überlegte kurze Zeit, ob er eins holen sollte, verwarf dann aber dennoch die Idee. Sie waren zu alt, um sich noch Geschenke zu machen, selbst wenn jetzt endlich Frieden zwischen ihnen herrschte, war ein Geschenk eine lächerliche Idee. Es würde auch nichts gut machen oder entschuldigen; es würde Kou nur daran erinnern, wie viele Geschenke ihm vorenthalten wurden. Er würde Kou einfach erklären, dass sie es dabei belassen sollten, einander nichts zu schenken. Kou war es doch gewohnt, dass er nichts zum Geburtstag geschenkt bekam.. Praktisch, dass er an Weihnachten Geburtstag hatte..
    Norio dachte darüber nicht mehr nach, bahnte sich den Weg zum Parkplatz durch die vielen Passanten, die sich zu dieser Uhrzeit in der Einkaufspassage aufhielten und war außerordentlich genervt, als er die lange Schlange an den Parkscheinautomaten erblickte. Er war es nicht gewohnt, einzukaufen. Dafür war Daniel immer verantwortlich gewesen, wie letztendlich für Alles in Norios Leben.. Daniel saß aber derzeit im Knast und Norios neuer Assistent, so ehrgeizig er auch sein mochte, war für Aufträge dieser Art völlig ungeeignet. Nicht zu vergessen, dass dieser Einkauf absolut spontan war.
     Nach gefühlten 2 Stunden in der Schlange erhielt Norio endlich seinen Parkschein und eilte zu seinem Wagen. Fix und fertig verstaute er die Tüten im Kofferraum von seinem Porsche und sank in den Fahrersitz. Er holte sein Handy heraus und bemerkte eine neue Nachricht. Er muss sie in dem ganzen Tumult da draußen überhört haben.


    "Ben ist heute um 17 Uhr bei einem Karate-Wettkampf", stand in der SMS, die Kou ihm geschickt hatte. Die Adresse der Sporthalle hatte er ihm natürlich auch gesimst.
   Norio knirschte mit den Zähnen. Hatte Kou etwa irgendeinen Verdacht, was Ben anging? Er schaute auf die Handyanzeige und stellte verärgert fest, dass es bereits nach 17 Uhr war.. Es war sinnlos, jetzt noch hinzufahren.
     Er tat es trotzdem..

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